Häufig hört man in den Medien, dass Krankheiten genetisch bedingt sind. Angelina Jolie hat sich sogar, obwohl gesund,  die Brüste entfernen lassen, weil ihren Genen zu entnehmen sei, dass sie gefährdet sei, Brustkrebs zu bekommen.

Wenn man das Buch: „Epigenetik“ von Bernhard Kegel gelesen hat, kann man hier nur verständnislos den Kopf schütteln.

Warum? In den wurde Medien voller Stolz berichtet, dass das menschliche Genom nun völlig entschlüsselt wäre. Aber bereits seit 1974 zeigen erste Forschungen, dass nicht nur die Gene für die Vererbung von Merkmalen zuständig sind, sondern dass es noch etwas „drumherum“ gibt, was dort Einfluss nimmt. Dieses „Drumherum“ wurde von der Forschung jahrelang als überflüssiger Schrott angesehen. Mittlerweile weiß man aber, dass dieser „Schrott“ wichtige Informationen enthält und dass unser Genom lediglich1% (!!!) der Erbinformationen im Zellkern ausmacht. Der „Schrott“ nennt  sich Epigenom.

Wer sich für Einzelheiten, den Aufbau dieses Epigenoms, Versuchsreihen usw. interessiert sollte dieses Buch lesen, denn mein Versuch dieses Fachwissen zusammenzufassen wäre höchstwahrscheinlich stümperhaft.

Ich versuche es mit einem Beispiel, das im Buch angedeutet wird und von mir etwas ausgebaut wurde.:

Man stelle sich vor unsere DNA wären eine Bibliothek. In den Büchern ist das Wissen niedergeschrieben. Aber… der Ausleiher entscheidet, OB und WELCHES Buch gelesen wird!  Auf den Körper übertragen bedeutet das, das Epigenom entscheidet, ob ein Gen gelesen oder stumm geschaltet wird.

In diesem Epigenom werden auch Ereignisse aus unserem Leben erfasst und weitervererbt, um unsere Nachkommen besser auf ihre Umwelt einzustellen.

Wie sollte auch sonst eine Veränderung oder Anpassung von Lebewesen an die Umgebungsbedingungen stattfinden, wenn der Organismus keine Möglichkeit hätte aktuelle Daten zu sammeln und an die Nachkommen weiterzugeben.

Vermutlich werden nach mehreren Generationen dann auch die Gene angepasst. Vergleichbar mit einem Buchentwurf, der in jeder Generation Korrektur gelesen und verbessert wird, bis das Buch druckreif ist. Die Entwürfe werden über das Epigenom weitergegeben.  

Nachfolgend einige Auszüge (mir Seitenangabe) aus „Epigenetik“ von Bernhard Kegel, die zeigen, dass Vererbung nicht nur genetischer Information sondern auch Umweltbedingungen weitergibt.

 

  12   Zufällig wurde folgender  Zusammenhang erkannt: Hunger oder Überfluss des Großvaters im Altern zwischen  9-12 Jahren … hat Einfluss auf das Gewicht des Enkels; Nahrungsüberfluss  verkürzt das Leben der Enkel um viele Jahre während die Lebenserwartung  stieg, wenn der Großvater Not leiden musste   
  15   hat der väterliche Großvater  reichlich zu essen, fiel die Kinderschar der Söhne deutlich kleiner aus;  musste er hungern, vergrößerte sich die Zahl seiner Enkel   
  48   2003 erklärte man das  Humangenomprojekt für abgeschlossen 
die menschlichen  DNA-Sequenzen sind in Internetdatenbanken für jeden einsehbar   
  52   es wurde deutlich, dass es  mit „Gene für..“ nicht getan ist  
zu Beginn des Jahrhunderts  war man von 100.000-140.000 Genen ausgegangen   
  53   nach vollständiger  Sequenzierung blieben nur 26.000…
2007 nur 21.000
2009 nur 19.000
und 80%  dieser Gene besitzen Entsprechungen mit dem Genom der Maus 
die menschliche Komplexität  lässt sich offenbar nicht im Genom nachweisen   
  53   was uns aus der Tierwelt heraushebt,  ist nicht so sehr die Genialität unseres genetischen Bauplan, sondern eine  beispiellos geringe Gen-Dichte und eine schier unglaubliche Menge an  Ballast-DNA – nur ein kleiner Teil unserer DNA dient der Codierung von  Proteinen, der Rest soll nichts als sinnloses genetisches Blabla darstellen: Junk- oder Müll-DNA, Füll- oder Klebstoff, Abstandhalter. Was die Suche nach den Genen so schwierig  macht, ist der Riesenhaufen "Schrott", in dem sie verborgen sind   
  55   Die geringe Zahl menschlicher Gene, widerspricht lt.  Wissenschaftshistoriker Jan Sapp, der  wichtigsten wissenschaftlichen Prämisse,  auf der das Humangenomprojekt basierte: dass es eine eins-zu-eins-lineare  Beziehung zwischen Genen, Proteinen und genetisch bedingten Krankheiten gibt, die es erlaubt,  defekte Gene aus dem DNA-Code  herauszulesen   
  56   es gelangen immer mehr  Wissenschaftler zu der Überzeugung, das DNA nur die Hälfte der Geschichte ist   
  57   nur der radikalste Reduktionist würde behaupten, die  Essenz einer Person könne durch sein oder ihr Proteom (die Gesamtheit seiner  oder ihrer Proteine) eingefangen werden – Wenn man externe Einflüsse und die Umwelt außer Acht lässt, werde am  Ende womöglich nur Unsinn dabei herauskommen   
  58   heute weiß man, dass proteincodierende Gene nur einen  kleinen, winzigen Teil unserer Erbinformation ausmachen: 1,06 Prozent!  
  59   14 Arrangements wurde  zusammengestellt und Wissenschaftlern mit der Frage vorgelegt, ob es ein oder  mehrere Gene seien: 60% vertraten die eine, 40% die andere Meinung, aber  keiner sagte „Ich weiß nicht“   
  60   Wissenschaftshistoriker  Raphael Falk:   Das Gen ist weder diskret noch kontinuierlich,  hat weder einen konstanten Ort, noch klar umrissene Funktion. Es hat nicht  einmal eine konstante Sequenz oder definitive Grenzen  
  64   zu jedem Gen gehört  gewissermaßen eine Art komplexe Eingabemaske, über die der Zustand der Zelle,  die Aktivität anderer Gene und An- oder Abwesenheit diverser Signalgeber  abgefragt werden 
  65   1977 wurde entdeckt, dass  auch proteincodierende DNA-Abschnitte keines weg als zusammenhängende  Basenfolgen vorliegen, sondern durch lange,  nichtcodierende Sequenzen = Introns, unterbrochen sind   Introns werden zusammen mit  den codierenden Sequenzen = Exons in RNA übersetzt   erst nachträglich  schneidet ein Enzymenkomplex die Introns aus dem Transkript und fügt die  Exons zusammen = Spleißen   
  80   Ein Wunderland der Vererbung  tut sich auf, in dem Menschen schwer erkranken,   weil ihre Großväter als  Jungen zu viel zu essen bekamen,   in dem genetisch identische  Mäuse drei verschiedene Fellfarben besitzen und   auch geklonte Katzen völlig anders aussehen als ihre  zellkernspendenden Klonmütter   
  82  zwei unterschiedliche  Erscheinungsbilder trotz identischer DNA nennen sich Phänotypen 
  96  abgesehen von Keimzellen  besitzen alle Körperzellen eines  Organismus dieselbe genetische Ausstattung… was sich aber deutlich unterscheidet  ist das Verteilungsmuster der an die  DNA gebundenen Methylgruppe: ihr Methylom  
  151   Aus heutiger Sicht nimmt  sich der seinerzeit von Watson und Crick vorgeschlagene Mechanismus der  Replikation wie ein Bauklötzchenspiel für Kleinkinder aus. Denn nicht nur die  DNA wird verdoppelt, auch ihr gesamter epigenetischer Anmerkungsapparat, von  dessen Existenz die beiden Nobelpreisträger seinerzeit nichts ahnten.   Zur Erklärung reichte damals ein DNA-Reißverschluss,  der sich bequem öffnen lässt.   Heute ist daraus eine mobile zelluläre Großbaustelle  geworden, mit Dutzenden von Protein-Arbeitern und einer Ehrfurcht gebietend  komplexen Logistik  
  169   Die DNA allein ist so viel wert wie ein mit allen  technischen Schikanen und randvoller Festplatte ausgestatteter Computer ohne  Betriebssystem.   
  169   170   In unserem Körper erfüllen  etwa 200 verschiedene Zelltypen  ihre lebenswichtigen Funktionen. Sie sehen sehr unterschiedlich aus und  besitzen sehr unterschiedliche Fertigkeiten, doch sie alle enthalten die DNA-Basen in exakt gleicher Reihenfolge.  Den Unterschied macht die Epigenetik 
  171   Im Verlauf der Zelldifferenzierung  sind zahllose Entscheidungen zu treffen und dabei finden nicht nur innere  Notwendigkeiten und Einflüsse der Zellnachbarn Berücksichtigung. Es gibt einen zweiten Eingabepfad, und in  diesem Fall sitzt nicht die DNA, sondern die Umwelt an der Tastatur  
  226   Die Temperatur entscheidet über die Fellfarben von Siamkatzen, die  Flügelmuster von Schmetterlingen und das Geschlecht von Schildkröten und  Krokodilen. Der Kontakt mit  Artgenossen bestimmt, ob Wanderheuschrecken zu biblischen Plage werden  und Fische zu Männchen oder Weibchen; Ausscheidungen,  mit denen Räuber ihre Anwesenheit verraten, veranlassen Beutetiere wie  Frösche, Rädertierchen, Wasserfähe, Schnecken und Fische, sich selbst oder  ihre Nachkommen mit dicken Muskelpaketen, Dornen, Helmen und verstärkten  Schalen auszustatten, um sich vor gefräßigen Feinden zu schützen. Das nennt  sich phänotypische Plastizität. Die Umwelt enthält Signale, die einen sich  entwickelnden Organismus zur Produktion eines Phänotyps befähigen, der seine  Fitness in dieser speziellen Umwelt verbessert   
  259   Krebsgene gibt es nicht!   Gene, die normalerweise im  Organismus unbeanstandet ihren Dienst tun, können aber auch in Varianten  auftreten, die die Entstehung von Krebs begünstigen. Sie betreffen die  Steuerung des Zellzyklus; sie hängen mit Wachstum und Zellteilung zusammen,  mit der Replikation der DNA, deren Qualitätskontrolle und ggf.  Reparaturmaßnahmen und mit Apoptose, dem eingebauten Selbstmordprogramm, das  u.a. aktiviert wird, wenn Zellen gravierende Schäden des Erbguts nicht mehr  korrigieren können. Schätzungen gehen davon aus, dass mehrere Tausend unserer  proteincodierenden Gene an diesen Prozessen beteiligt sind.   
  273   Die DNA schrumpfte zu einem Großmolekül, das träge im  Zellkern herumliegt, während ringsherum die von ihr abgeleitete Kinderschar –  ein Gewusel von Proteinen sowie ein Heer von RNAs und epigenetischen  Regulatoren, die zelluläre Arbeit erledigen   
  275   276   Was man 30 Jahre für unbedeutende Trümmer und  Abbauprodukte gehalten hatte entpuppte sich als essenzieller Bestandteil und  evolutionär offenbar sehr altem zellulären Abwehrmechanismus  
  293   Das EINE genetische Programm gibt es nicht, es gibt  deren vieler   
  303   Somit sind Gene wahrscheinlich öfter Nachfolger als  Führer im evolutionären Wandel!